Digital vernetzt aber dennoch einsam

    Im Zeitalter der digitalen Vernetzung wird jedes kleinste Alltagsdetail mit unzähligen Freunden geteilt, mit Likes oder Herzsymbolen versehen und ausgiebig kommentiert. Social Media sollen Menschen auf der ganzen Welt näher zusammenbringen – allerdings nur in der Theorie, denn wissenschaftliche Studien zeichnen ein gänzlich anderes Bild. Nicht jenes von jungen Menschen, die dank der endlosen Möglichkeiten sozialer Netzwerke regen Austausch mit Gleichgesinnten pflegen. Die Untersuchungen ergaben, dass Menschen, die häufig Facebook, Instagram, Twitter & Co nutzen, ein deutlich erhöhtes Risiko in sich tragen, unter sozialer Isolation zu leiden. Die möglichen Folgen der Vereinsamung im Zeitalter der Digitalisierung reichen von Beeinträchtigungen der Gesundheit bis zu psychischen Störungen.

    Gemeinsam vereinsamen durch soziale Medien

    Die Frage, ob soziale Medien auf das Leben von jungen Menschen in der heutigen Zeit einen positiven oder negativen Einfluss haben, ist seit vielen Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen. Das Ergebnis einer von US-amerikanischen Forschern durchgeführten Studie spricht eine eindeutige Sprache. Die Untersuchungsreihe kam zu dem Schluss, dass jene Studienteilnehmer, die täglich mindestens zwei Stunden mit sozialen Netzwerken verbringen, Gefahr laufen, Gefühle der Vereinsamung zu entwickeln. Im Vergleich zu Menschen, die weniger als eine halbe Stunde pro Tag soziale Netzwerke nutzen, sind sie einem doppelt so hohen Risiko ausgesetzt, langfristig unter sozialer Isolation zu leiden. Angesichts der großen „Sammlung“ an Freunden, die die ständige Nutzung solcher Plattformen mit sich bringt, sind die jungen Menschen heute mit all ihren regen virtuellen Kontakten in schier unüberschaubarer Menge vor allem eines: mit Millionen anderen gemeinsam einsam.

    Soziale Netzwerke, ob Facebook, Snapchat, Youtube oder Twitter zielen eigentlich darauf ab, durch die Ortsunabhängigkeit die Kontaktaufnahme zwischen Gleichgesinnten zu erleichtern. Diese von Milliarden Menschen auf der ganzen Welt genutzten Plattformen dienen dazu, Menschen am Leben ihrer Mitmenschen auf unkomplizierte Weise teilhaben zu lassen. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass es hier lediglich um Quantität, und keinesfalls um Qualität der Beziehungen geht.

    Wenn jede zwischenmenschliche Bindung hauptsächlich darauf aufbaut, sich in der virtuellen Welt auf unverbindliche Weise zu begegnen, ist Vereinsamung eine logische Folge. Virtuelle Freundschaften auf Online-Plattformen basieren in erster Linie auf Kurznachrichten, Posts und Kommentaren zu Fotos, die die Nutzer von sich und ihrem Alltagsleben veröffentlichen. Unvermeidlich bedingt dies langfristig eine allmähliche Abkehr von der realen Welt, in der Beziehungen auf gemeinsamen Unternehmungen und Erlebnissen sowie körperlicher Nähe jeder Art – schlicht gesagt: Gegenwart – aufbauen.

    Menschen, die einen Großteil ihrer Freizeit in sozialen Netzwerken verbringen, kommt dieser wichtige zwischenmenschliche Aspekt nach und nach abhanden. Dies passiert, ohne dass die Betroffenen es merken, denn soziale Medien suggerieren durch die beinahe voyeuristische Anteilnahme am Alltagsleben der anderen die ultimative soziale Nähe. Das Gefühl der Einsamkeit entwickelt sich schleichend, während die Fähigkeit, sich Freunden im wirklichen Miteinander zu öffnen, mehr und mehr abhanden kommt.

    Idealisierung ohne Grundlage

    Soziale Medien und Online-Plattformen bieten unendliche Möglichkeiten, das eigene Ich zu inszenieren. Von jedem kleinsten Detail, ob vom Frühstückskaffee, der neuen Frisur oder der glamourösen Party wird ein Foto gemacht und für hunderte Freunde veröffentlicht. Dass es sich bei den meisten Posts um nebensächliche Banalitäten handelt, die es kaum wert sind, gezeigt oder kommentiert zu werden, spielt keine Rolle. Sie erregen mehr oder weniger Aufmerksamkeit, werden geteilt und erhalten ihre unzähligen Likes. Den Menschen dahinter wird dadurch unweigerlich die Illusion vermittelt, besonders interessant oder begehrenswert zu sein.

    Durch die endlose Flut an Bildern und Kommentaren, mit denen die Nutzer täglich bombardiert werden, ist jedoch das genaue Gegenteil der Fall. Nichts ist bedeutsam, die Oberflächlichkeit siegt, für echte zwischenmenschliche Begegnungen bleibt angesichts der verlockenden Freiheiten der virtuellen Selbstinszenierung keine Zeit mehr.

    Die Möglichkeiten, jedes kleinste Detail aus dem eigenen Leben mit anderen, zu einem Großteil weitgehend unbekannten „Freunden“ zu teilen, birgt noch ein anderes Problem in sich. Sowohl die Selbstinszenierung als auch das voyeuristische Interesse an anderen werden für viele User zur Sucht. Damit geht eine Idealisierung des eigenen Ichs und anderer Personen einher, die nichts mit der Realität gemeinsam hat und dennoch einen hohen emotionalen Stellenwert im Leben der Betroffenen einnimmt. Dies macht sie verletzlich und manipulierbar, schürt negative Emotionen wie Neid und Missgunst und lässt ein verzerrtes Bild von sich selbst entstehen.

    Wenn das eigene Ego gezwungenermaßen immer wichtiger wird, sind psychische Störungen wie Narzissmus oder Depressionen logische Konsequenzen. Selbst all die Banalitäten des Alltags werden von ihrer besten, sprich fotogenen Seite präsentiert, denn kaum jemand hat den Mut, sein Leben auf sozialen Netzwerken so darzustellen, wie es tatsächlich ist. Selbstverliebtheit, Narzissmus und Eitelkeit auf der einen Seite steht auf der anderen Seite das Gefühl gegenüber, mit all der Schönheit und Perfektion im Leben der anderen nicht mithalten zu können. Die Einsamkeit wird dadurch noch verstärkt, dass die normalen, scheinbar negativen Ereignisse des eigenen Alltagstrotts verglichen mit den inszenierten Urlaubs- und Stylingfotos der „Freunde“ erst recht ins Gewicht fallen.

    Das Fehlen echter Bindungen

    Zur Vereinsamung gesellt sich dadurch auch das unangenehme Gefühl, möglicherweise nicht gut genug, trendig genug oder interessant genug zu sein – was ohnehin durch die Printmedien und Werbung tagtäglich suggeriert wird. Jeder Mensch besitzt die Fähigkeit, sich an solche gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen, ohne dabei die Beziehung zum eigenen Ich und den Fokus auf die schönen Dinge des Lebens zu verlieren – vorausgesetzt, echte und solide Freundschaften und Partnerschaften geben in Phasen der Orientierungslosigkeit Rückhalt.

    Nicht nur die exzessive Nutzung sozialer Netzwerke, auch die Digitalisierung im Allgemeinen lassen das Gefühl eines echten Zusammenhalts jedoch allmählich schwinden. E-Mails, Kurznachrichten und kommentarlose Fotos haben im digitalen Zeitalter das persönliche Gespräch mit all seinen Facetten der verbalen und körpersprachlichen Ausdruckskraft ersetzt. Dadurch fällt es vielen jungen Menschen heute grundsätzlich schwer, Freundschaften in der realen Welt bewusst zu pflegen, um eine Vereinsamung durch das Fehlen der Gegenwart des anderen zu verhindern. Stattdessen werden die Jugendlichen, ohnehin bereits verletzlich und vom Selbstzweifel gequält, in den sozialen Medien auch noch mit Fotos überhäuft, die immer die anderen bei gemeinsamen Unternehmungen und Partys zeigen, zu denen man selbst nicht eingeladen wurde. Die Einsamkeit ist daher nicht nur Folge davon, dass die echte zwischenmenschliche Kommunikation auf der Strecke bleibt, sondern auch dieses unangenehmen Gefühls, immer ausgeschlossen zu sein.

    Dass Vereinsamung langfristig krank macht, haben unzählige wissenschaftliche Studienreihen längst bewiesen. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die sich grundsätzlich entfremdet oder einsam fühlen, Infektionskrankheiten deutlich schwerwiegender erleben, ein schwächeres Immunsystem besitzen, eher unter erhöhtem Blutdruck leiden und öfter psychische Störungen entwickeln. Gleichzeitig wird jeder Mensch, der sich ausgeschlossen oder einsam fühlt, anderen gegenüber immer misstrauischer. Mit der Vereinsamung kommen daher auch die Fähigkeit und das Bedürfnis, neue Freundschaften aufzubauen, allmählich abhanden.

    Diese Erkenntnisse sind in Hinblick auf all die Menschen, die einen beträchtlichen Teil ihrer Freizeit in sozialen Netzwerken verbringen, durchaus besorgniserregend. Funktionierende soziale Beziehungen im echten Leben leisten einen wesentlichen Beitrag für die allgemeine Gesundheit. Es zahlt sich daher aus, öfter Smartphone und Tablet wegzulegen, um sich bewusst jenen Menschen zu widmen, die einem gerade gegenübersitzen.

    Wer sich eingesteht, dass die unbegrenzten Kontaktmöglichkeiten der Online-Plattformen eigentlich Grenzen im sozialen Leben ziehen, kann mit einer kritischen Betrachtungsweise das eine oder andere idealisierte Bild von ästhetisch aufwendig inszenierten Nebensächlichkeiten als solches erkennen und ignorieren. Dies ebnet den Weg zu einer reflektierten Nutzung der sozialen Medien, um tatsächlich einen inspirierenden Gedankenaustausch mit Gleichgesinnten zu pflegen – und hinterher den echten Freunden bei einer gemütlichen Tasse Kaffee oder während eines längeren Telefonats davon zu erzählen.

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