In der heutigen Konsumgesellschaft sind Spaß und ständige Unterhaltung, eine übertrieben positive Lebenseinstellung und energetische Jugendlichkeit das Maß aller Dinge. Für Momente, die von schwermütigen Gedanken und tiefer Traurigkeit dominiert sind, scheint kein Platz zu sein. Diese unter dem Begriff der Melancholie zusammengefassten Emotionen werden daher von vielen Menschen vorschnell mit seelischen Verstimmungen und Depressionen in Verbindung gebracht. Melancholie wird jedoch von Psychologen und Philosophen als wichtige Charaktereigenschaft beschrieben, die in der schnelllebigen modernen Welt eine Quelle für innere Stärke und Tiefgang darstellt.
Was ist Melancholie?
Wenige Menschen trauen sich, offen zuzugeben, dass sie melancholisch sind, denn Schwermut, Traurigkeit und Trübsinn passen nicht so recht in die Vorstellung von Erfolg, Jugendlichkeit und Stärke. Melancholie steht den typischen Symptomen der oberflächlichen Spaßgesellschaft gegenüber und wird daher gerne als etwas Krankhaftes und Abnormales empfunden. Wer zeitweise kein Bedürfnis empfindet, sich immer nur von seiner fröhlichen, unbeschwerten Seite zu zeigen, wird von den Mitmenschen gerne mit allen Mitteln „aufgeheitert“. Die Betroffenen möchten jedoch einfach nur ihren Weltschmerz ausleben und mit sich alleine sein, statt sich in jeder Lebenssituation genau so verhalten zu müssen, wie Partner, Freunde, Familienangehörige und Kollegen es erwarten.
Wenn das eigene Leben oder die Umstände der Gesellschaft hin und wieder als trostlos, traurig oder schlichtweg negativ empfunden werden, sprechen Psychologen von Melancholie. Menschen, die melancholisch sind, reagieren auf bestimmte Situationen oder Erfahrungen oft mit Tränen, ziehen sich zurück und geben sich im Privaten ihren trübsinnigen Gedanken hin.
Melancholie als Charakterstärke
Menschen, die auch negative Gefühle zulassen können und in gewissen Phasen eine innere Leere verspüren, sind alles andere als krank oder abnormal. Immerhin ist Melancholie ein weit verbreiteter Gemütszustand und betrifft einen beträchtlichen Prozentsatz der Bevölkerung in der westlichen Welt. Nicht nur Erwachsene, die den Ernst des Lebens im Alltag oft zu spüren bekommen, sind hin und wieder schwermütig, auch Kinder und sogar höher entwickelte Säugetiere durchleben Phase der Schwermut. Dieser emotionale Zustand gehört zur menschlichen Existenz wie Gefühle der Freude, Trauer, Wut oder Liebe. Bedeutende Philosophen wie etwa Heidegger und Aristoteles haben die Melancholie sogar als wichtige Charaktereigenschaft bezeichnet, die mit großem Potenzial einhergeht. Die Fähigkeit, tiefsinnige Gedanken zu formen, ist nämlich nicht nur Zeichen einer vielschichtigen Persönlichkeit, sondern auch eine wichtige Grundvoraussetzung für Kreativität.
Menschen, die melancholisch sind, gehen mit ihren Mitmenschen deutlich behutsamer um, können sich in andere hineinversetzen und gestehen ihnen ebenfalls Momente der Traurigkeit und Schwäche zu. Gleichzeitig ist Melancholie auch mit der Fähigkeit verbunden, das Leben auf vielen Ebenen zu beleuchten und einzelne Aspekte auf tiefgehende Weise zu reflektieren. Daher sind melancholische Menschen oft Wissenschaftler oder hochbegabte Künstler mit innovativen Ideen.
Melancholie gewinnt in der heutigen, von Oberflächlichkeit geprägten Gesellschaft wieder zunehmend an Bedeutung. Menschen, deren Seele ab und zu von einem grauen Schleier bedeckt ist, sollten diese Charaktereigenschaft daher nicht verstecken, sondern gezielt nutzen, um kreative Gedanken weiterzuentwickeln und nach Wissen zu streben. Melancholie muss nicht mit übertriebener Fröhlichkeit überdeckt werden, denn dies kostet wertvolle Energie, die wesentlich besser investiert werden kann. Wer sich melancholischen Phasen bewusst hingibt und am Ende wieder die positiven Seiten des Lebens erkennt, kann Kraft schöpfen, um die alltäglichen Herausforderungen auf umsichtige Weise zu meistern.