Bei kaum einer anderen psychischen Erkrankung wirft das Krankheitsbild so viel Wunder auf wie bei der des Narzissmus. „Wie kann es sein, dass jemand derart egoistisch ist?“, fragen sich die Familien-Angehörigen des Narzissten. „Ob und wie sind narzisstische Menschen erfolgreich therapierbar?“, diskutieren die Therapeuten. „Auf welcher Skala zwischen normal, gesellschaftlich geduldet, gefeiert oder pathologisch narzisstisch steht dieser narzisstische Mensch?“, fragen sich viele, die es mit diesem Menschen zu tun haben.
Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung verstehen
Gleich vorweg bemerkt, es reicht nicht aus, diese Menschen nur als im Selbstwertgefühl gestörte Persönlichkeiten einzustufen, man sollte sie mitsamt ihrer Kränkung oder ihrer Erkrankung verstehen können. Will man jemanden kennenlernen, so sei anzuraten, mal in seinen Schuhen zu laufen. Dieses ist ein überliefertes Grundprinzip für Therapeuten, das einem helfen könnte, die Angespanntheit und den tiefen Schmerz eines Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung nachzuempfinden. Bei ihnen dreht sich alles nur um sie und ihre Selbstdarstellung. Es gibt nichts außerhalb ihrer selbst. Sie sind der Mittelpunkt der Welt. In ihrem Denken und Verhalten sind sie reflexiv, also rückbezogen auf die eigene Person. Anderen wird wohl die Rolle der Bewunderer, der Unterstützer oder der Diener zugestanden, aber viel tiefer mag der Kontakt selten gehen.
Frühkindliche Prägung
Narzisstische Menschen werden als selbstverliebt, egoistisch oder überheblich definiert. Das ist nur oberflächlich betrachtet. Wie vorweg bemerkt ist es sinnvoll, sie von innen heraus zu betrachten. Hinter dieser äußeren Fassade von „sich zu feiern“ oder „sich feiern zu lassen“, steht oft ein zutiefst gekränktes Ego. Die Prägung für narzisstische Menschen mag im Alter von 2 bis 4 Jahren gelegt worden sein. In dieser Zeit entdeckte es das ICH und wollte es erforschen, erleben und sich langsam von der Mutter und dem damit verbundenen Wir-Prinzip trennen. Konnte jedoch diese Entwicklung zum eigenen Ich nicht vollzogen werden, so erfuhr das Kind eine narzisstische Kränkung. Auch kann das passieren bei einer narzisstischen Mutter, die dem Kind die Liebe entzog, als es sich wegbewegen wollte. Auf der Schwelle zur eigenen Unabhängigkeit trauerte das Kind um die Mutter und ihre Liebe und konnte sich nicht richtig lösen.
Bei narzisstischen Menschen erhält durch die Kränkung ein anderes System die Oberhand, nämlich die aufgesetzte Selbstverliebtheit. Dieses Prinzip hilft, den Schmerz nicht zu spüren. Narzisstische Menschen können auch zu solchen heranwachsen, wenn sie in der Kindheit übermäßig verwöhnt worden sind, ohne jemals für etwas kämpfen oder auf etwas warten zu müssen. Der Mensch baut dann diese Selbstverständlichkeit auf, immer zu jeder Zeit alles zu bekommen und verharrt in einer Form permanenter Forderungshaltung. Hieraus kann auch eine narzisstische Persönlichkeitsstörung passieren, weil derjenige es nicht gelernt hat, etwas zu teilen, auf etwas zu warten und für etwas kämpfen zu müssen.
In ihrer Selbstverliebtheit benötigen viele Menschen narzisstischer Persönlichkeitsstörung eine Machtposition. Sie brauchen das Gefühl, die Kontrolle über ein System zu haben, denn nur in einer Machtposition fühlen sie sich wohl. Narzisstische Menschen sind oft sehr geschickt, „zu teilen und zu herrschen“. Dieses Macht-Prinzip wird im familiären und sonstigen Umfeld angewandt, um der unangefochtene Mittelpunkt dieses Systems zu sein.
Gesellschaftlich gefeierte Form des Narzissmus
Heutzutage ist auch eine übermäßige Vermarktung narzisstischer Menschen nicht selten. Schon immer waren die Bereiche Kunst und Mode Felder, in denen sich auch narzisstische Menschen tummeln. Künstler oder Modeschöpfer identifizieren sich mit dem eigenen Produkt, dem Bild oder der Modelinie. Das ausschließliche Handeln ist darauf gerichtet, dieses Produkt zu vermarkten, um dadurch im außen gefeiert zu werden. Hier geht man von einer gesellschaftlich vertretbaren oder sogar gefeierten Form des Narzissmus aus. Demjenigen wird dann tendenziell zugearbeitet, der dem narzisstischen Menschen Beifall spendet.
Im Kontakt mit Narzissten mag es Momente geben, wo man sich überlegt, dass der andere wohl egozentrisch aber halt nicht narzisstisch sei. Das geht aber nur so lange, bis es einem klar wird, dass narzisstische Menschen die anderen als Zuschauer missbrauchen. Narzissten lieben Darstellung und sie akzeptieren andere Menschen in ihrem Leben hauptsächlich als Zuschauer. Der Beifall lässt die innere Isolation vergessen.
Die verschiedenen Formen des Narzissmus
Pathologisch, also krankhaft, wird der Narzissmus erst dann, wenn der Leidensdruck derart groß wird, dass man psychologischer Hilfe bedarf. Der amerikanische Psychologe Theodore Millon hat eine gute Einteilung für die verschiedenen Formen des Narzissmus erstellt.
Der normale narzisstische Mensch erscheint selbstsicher und erfolgreich. Er differenziert weiter in den charakterlosen Narzissten, der betrügerisch und skrupellos oft in kriminelle Machenschaften abrutscht.
Weiter nennt er den amourösen Narzissten, der sich verführerisch und exhibitionistisch präsentiert. Wer auf eine tiefere Beziehung hofft, wird enttäuscht, weil er sich nicht einlassen kann.
Der kompensatorische Narzisst spielt anderen und sich selbst ein aufgeblähtes Selbst vor, dem aber stärkste Selbstzweifel und Komplexe zugrunde liegen.
Der elitäre Narzisst „spielt selbstbewusst“, versteckt sich hinter seiner gigantischen Fassade, ist angeberisch und selbst-bezogen. Er ist süchtig auf sozialen und medialen Erfolg und nutzt dabei andere Menschen für seine Zwecke aus.
Der fanatische Narzisst kompensiert seine Bedeutungslosigkeit und sein sehr geringes Selbstwertgefühl durch einen Omnipotenz-Wahn. Zum Abschluss darf der Hinweis auf die Vielschichtigkeit eines Einzelschicksals nicht fehlen.